Der Wolf im Spannungsfeld von Land- und Forstwirtschaft, Jagd, Tourismus und Artenschutz von Klaus Hackländer (Herausgeber) – Teil 5
Eine etwas andere Rezension.
Im digitalen Zeitalter und herausgefordert durch eine Ausgangsbeschränkung beschäftigt sich der Mensch gerne mit „Challanges“. Wir nehmen unsere selbst auferlegte Herausforderung an und … lesen ein Buch. Jeden Tag ein Stückchen weiter und parallel dazu lassen wir Euch an unseren Eindrücken, Gedanken und Ergänzungen dazu teilhaben. Wer Fragen hat, darf fragen. Wer sich auch äußern mag oder ergänzen, darf das auch gerne.
Teil 5 Weidewirtschaft und Wolf – geht das? Von Daniel Heindl
Dipl. Ing. Daniel Heindl für den Niederrösterreichischen Bauernbund die Landwirtschaftskammer Niederösterreich.
In früheren Zeiten ging es oftmals um Leib, Leben und Existenz, wenn der Wolf zusätzlich zu anderen Gefahren (strenge Winter, Krankheiten, Kriege) in Regionen vorkam und Nutztiere riss. So war es nicht verwunderlich, dass diesen Raubtieren massiv nachgestellt wurde, bis hin zur völligen Ausrottung. Heute, Heindl ergänzt „derzeitig“, sind Leib und Leben vom Wolf nicht bedroht. Für unmittelbar betroffene Landwirte seien „Zahlenspiele kein Trost“.
Situation bevor die Wölfe kamen
Verluste von Nutztieren gab es durch Wetter, Krankheiten und Unfälle. Wenig Personal und geringe Schutzmaßnahmen reichten aus, um Tiere gut durch die Almsaison zu bringen. Früher waren die Almflächen wichtige Futterquellen, um die Tiere im Sommer hier weiden zu lassen und in den Tallagen Futter für den Winter zu gewinnen. Mit Drahtzäunen und Strom konnten Tiere einfach gelenkt werden. Hirten waren damit nicht mehr notwendig. Arbeitskräfte fanden (leichtere) Arbeit in anderen Berufszweigen. „Ein Schutz gegen äußere Eingriffe war nicht mehr nötig.“
Alm- und Weideflächen sind nicht nur zur Nahrungsgewinnung wichtig. Auch den Tourismus und die Biodiversität führt Heindl auf. Wichtig ist auch die Vermarktung in der oftmals auch die Weidetierhaltung hervorgehoben wird.
Anmerkung: Almflächen werden heutzutage durch Agrarsubventionen unterstützt. Wirtschaftlich ist der große Aufwand hier nicht. Ohne Subventionen wäre sicherlich ein noch viel größerer Teil als ohnehin schon bereits nicht beweidet. Nutztiere auf Weiden zu halten ist aufwändiger, als sie im Stall mit Sojaschrot durchzufüttern., überspitzt ausgedrückt. Weidetierhaltung spielt eine wichtige Rolle in der Offenhaltung von Flächen. (Aber auch in der Gesundhaltung der Tiere.) Weidenutzung ist nicht Weidenutzung. Ganz pauschal kann man nicht behaupten, dass jede Beweidungsform einen Beitrag zur Biodiversität leistet. Es gibt Untersuchungen wonach behirtete, spricht geleitete, Herden einen größeren Beitrag leisten, da sie gezielt an wichtige Stellen geführt werden und nicht selektieren. Denn Weidetiere auf großer Flächen suchen, solange sie die Möglichkeit haben, immer ihr Lieblingsfutter. Den Rest lassen sie stehen. Machen wir ja auch nicht anders… Außerdem gibt es bevorzugte Lagerstätten etc. etc. Also ja: Weidetierhaltung ist für die Tiere selbst und auch für einen Naturschutz-Beitrag wichtig. Es kommt aber drauf an… Beispiel: http://www.alpfutur.ch/src/2012_schafalp_biodiversitaet.pdf
In Regionen Europas in denen Wölfe nach wie vor Vorkommen ist ein Hauptaufgabenpunkt der Halter der Schutz von Weidetiere mit verschiedenen Maßnahmen.
Situation aktuell in Europa
Nach Ländern aufgelistet berichtet Heindl über die Auswirkung die die Anwesenheit/Rückkehr auf die Weidetierhaltung hat. Einheitlich zeigt sich laut Heindl, dass die Weidetierhaltung stark zurückgeht durch die Wölfe. Für Österreich befürchtet er eine noch dramatischere Entwicklung ob der bäuerlichen Kleinstrukturen.
Spanien war nie gänzlich wolfsfrei. Schutzmaßnahmen und Jagd waren stets Teil. Nördlich des Flusses Duero lebt ein Großteil der Wolfspopulation, nach Anhang V FFH auch immer bejagt. Südlich des Flusses werden größere Viehbestände gehalten. Die Wölfe hier werden nicht bejagt, es sind nach Heindl 15% der Wolfpopulation die hier leben und 85% der Weidetierschäden zu verantworten haben.
Italien war nie gänzlich wolfsfrei. Im Apennin kamen Wölfe immer vor.
Heindl nennt die Tötung von Wölfen als Teil des Herdenschutzes(in Ländern wie Spanien, Italien, Osteuropa und Balkan), neben Behirtung, Nachpferch und Herdenschutzhunden.
Frankreich hat seit 1992 wieder ansässige Wölfe. Der Schafbestand hat sich von 1988 bis 2010 von 80000 Schafen auf 425000 reduziert in den franz. Alpen. V.a. Kleinbetriebe sind davon betroffen. Heindl erwähnt, dass in der Statistik nicht der Grund der Aufgabe oder Reduzierung erhoben wird. In großen Herden findet Herdenschutz mit verschiedenen Maßnahmen statt. Für 2017 wurden folgende Zahlen veröffentlicht: 360 Wölfe, 3000 Attacken auf Nutztiere, 11.000 Risse. 92% der Angriffe erfolgten auf geschützte Herden 50% davon am Tag.
Deutschland hat mit seinem ersten Rudel im Jahr 2000 wieder Wölfe. Die Regelungen zum Umgang (Monitoring, Rissgutachten, Zahlungen…) sind Ländersache.
In Sachsen gingen die Schafbestände seit Auftauchen der Wölfe um 50% zurück. Ob Rückgang durch Mehraufwand oder soziale Belastung bedingt ist wurde nicht erfasst. Aus Risstabellen ist abzulesen, dass Übergriffe zunehmen obwohl Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Schutzmaßnahmen heißt behördlich Vorgaben des jeweiligen Landes. „Hier war in Deutschland ein Wettrüsten zwischen Behördenvorgaben, Tierhalteraufwand und Wolfshunger schon vorgezeichnet.“
Einen wichtigen Beitrag leistet die Weidetierhaltung (v.a. Schaf und Ziege) bei der Landschaftspflege. Für viele Betriebe sind Gelder dafür ein wichtiges Standbein des Betriebes. In größerer Stückzahl sind auch Rinder, Pferde, Gatterwild und Hunde in Risstabellen zu finden.
Anmerkung: Wir kommentieren dies nicht weiter, sondern weisen auf die Rissstatistiken der Ländern hin, exemplarisch zwei Bundesländer mit vielen Wolfs-Territorien. „Bei den von Wölfen von 2002 bis 2018 getöteten oder verletzten Nutztieren in Deutschland handelte es sich zu 85,5% um Schafe oder Ziegen, 8,8% um Gatterwild und in 5.3% um Rinder (meist Kälber).“ (Quelle: https://dbb-wolf.de/wolfsmanagement/herdenschutz/schadensstatistik)
Schadensstatistik Sachsen (2018/2019 27 Wolfsterritorien) https://www.wolf.sachsen.de/schadensstatistik-4169.html
Schadensstatistik Brandenburg (2018/2019 49 Wolfsterritorien) https://lfu.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.407130.de
Schadensstatistik NIedersachsen (2018/2019 31 Wolfsterritorien): https://www.nlwkn.niedersachsen.de/wolfsburo/nutztierschaden_karten_und_tabellen/nutztierschaeden-174005.html
Die Schweiz betreibt großen Aufwand bei Monitoring, Rissgutachten, Schutzmaßnahmen etc. Nutztierrisse finden zu 90% in ungeschützten Herden statt. Auch in der Schweiz ist die Zahl der Schafalpen rückläufig. Gerade die Bewirtschaftung durch Kleinherden nimmt ab. Herden wurden teils zusammengelegt. Es wird festgelegt welche Schutzmaßnahmen umzusetzen/umsetzbar sind. Auch in der Schweiz treten Probleme bei der Haltung und dem Schutz mit Herdenschutzhunden auf. Diese versucht man mit zeitweiser Einschränkung der Beweidung oder touristischen Nutzung zu lösen.
Heindl geht davon aus, dass viel Geld für den Schutz der Wölfe zur Verfügung steht. Er stellt aber die Frage, wie viel tatsächlich beim „Einzig Betroffenen, dem Tierhalter“ ankommt.
Es gibt keine Konfliktfreien und verlustfreien Lösungen in den Ländern. Die Aussage „wir brauchen keine Wölfe“ müsse man verstehen und es sei Verpflichtung der bäuerlichen Bevölkerung zur Not Nutztiere mit Gewalt zu verteidigen. Dies geschehe nicht aus Begeisterung.
Vermarktungsprogramm mit Wolf
Ein kurzer Abschnitt befasst sich mit der Idee Produkte aus Wolfgebieten zu vermarkten und durch höhere Preise den Mehraufwand mit zu finanzieren. Ein derartiges Projekt startete 2018 in Spanien. Ergebnisse dazu liegen dem Autor noch nicht vor.
Auftretende Probleme
Die Rückkehr einer Art birgt immer Veränderungen in sich. Die grundsätzliche Ablehnung gegen den Wolf erklärt Hendl mit der Tatsache, dass von Weidetierhaltern der Wolf nicht gewünscht wurde. Arbeit und Verantwortung bleiben nur an Bauern hängen. Lösungen führten oft über steinge Wege, Misserfolg und Rückschläge.
Zäune als Barriere
Heindl führt auf welchen Aufwand es bedeuten kann Zäunungen gut aufzustellen und diese auch zu pflegen. Es gibt (Alm) Flächen die nicht gezäunt werden können. Bereits jetzt müssen Zäune täglich kontrolliert werden. Ein Schaden führt nicht zwangsweise zum Schaden am Tier. Bei Anwesenheit von Wölfen steigt das Risiko dafür. In Sachsen gibt es verschiedene Erfahrungswerte mit den Flächengrößen. Mit den Zäunen könnten andere Wildtierarten von Futterflächen ausgezäunt werden.
Herdenschutzhunde
Heindl spricht die Problematik an, was mit ungeeigneten Herdenschutzhunde geschehen solle. Zwangsverpflichtung zur Haltung von Herdenschutzhunden sind kontraproduktiv.
Herden brauchen permanente Behirtung. Dafür muss eine Kraft eingestellt werden, arbeitsrechtiche Belange berücksichtigt werden. Hierfür braucht es gut ausgebildetes Personal.
Nutztiere sind mehr als Ohrmarken
Angriffe auf Nutztiere können die Tiere, deren Verhalten und die Herdenstruktur verändern. Die kann von erschwertem Umgang bis hin zu weniger Leistungsfähigkeit führen. Mehrfachtötung durch Wölfe wird erwähnt, ebenso die Problematik, dass ausgebrochene Herden Schäden anrichten können.
Heindl geht im Folgenden darauf ein, dass Weidewirtschaft zahlreiche Vorteile hat für Tierwohl, Landschaft, Arbeit), aber eben auch Schwierigkeiten, wenn im Nebenerwerb geführte Betriebe durch Mehraufwand des Herdenschutzes, ggf. Angriffe, Versprengte Tiere etc. Zeit und Geld und Abwesenheit vom Arbeitsplatz leisten müssen. „ Der Tierhalter wird es hinsichtlich seiner Nutztiere wohl immer falsch machen, je nachdem, worauf die Absicht der Gegenseite abzielt.“
Raumnutzung
„Weidehaltung wird man auch zukünftig als Produktionsform bei Wolfsvorkommen finden. Verschwinden werden die kleinen Herdeneinheiten.“ Derzeit werden Kleinstrukturen aus Naturschutzsicht gefördert.
„Herdenschutzmaßnahmen funktionieren nicht, wenn man den absoluten Anspruch stellt.“ Absoluter Anspruch werde aber an die Bauern gestellt (Tierschutz, Ausgleichszahlungen, …). Man müsse auch der räumlichen Einschränkung des Wolfes zustimmen. Es sei nicht nur Überlebenskampf für Almen sondern langfristig auch für den ländlichen Raum.
Anmerkung: In Bayern ist das Landesamt für Landwirtschaft Ansprechpartner und für Regelungen in Sachen Herdenschutz zuständig. Hier der Link für alle die es genauer wissen wollen oder müssen: https://www.lfl.bayern.de/itz/herdenschutz/index.php
Hier noch die Haftungsfrage, sollte es zu Schäden nach Herdenausbruch auf Grund von Wolfsangriff kommen. Weidetierhalter müssen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. (Ohnehin, auch ohne Wolf.) Ganz klar ist die Rechtslage allerdings nicht. Im Fall der Fälle wird das ein Gericht klären müssen. https://www.lfl.bayern.de/itz/herdenschutz/241149/index.php
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