Der erste Bayerische Luchsprozess – Chance oder Fail?

Luchsprozess Regenburg Gericht

von Franziska Baur

Präzedenzfall für künftigen Umgang mit illegalen Tötungen geschützter Wildtiere: Urteil mit Geldstrafe für 54-jährigen Jäger wegen Besitz einer illegalen Waffe (Nachtsicht-Zielgerät) und dem vorsätzlichen Nachstellen einer streng geschützten Tierart. Am Amtsgericht Cham fand am 12.09.2019 der langerwartete Prozess gegen den Angeklagten statt und für schuldig befunden. Ein Geständnis blieb aus und die Beweislage war leider auch dünn. Somit wurde er lediglich zu einer Geldstrafe über 3.000 € verurteilt plus Verfahrenskosten unbekannter Höhe. Weiterhin musste er alle Waffen abgeben, sowie seinen Jagdschein und Waffenbesitzkarte.

Wie kam es zum ersten Bayerischen Luchsprozess?

Ein Mitarbeiter des Luchsprojektes Bayern entdeckte im Mai 2015 bei Kaitersberg (Lamer Winkel) vier abgetrennte Luchsvorderläufe in der Nähe von Fotofallen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Pfoten absichtlich als Provokation platziert wurden. Der DNA-Abgleich am Berliner Leibniz Institut für Zoo- und Wildtierforschung und am Gelnhausener Senckenberg Institut für Wildtiergenetik belegte: Die Extremitäten stammten von den Bayerischen Luchsen „Leo“ und „Leonie“. Auf einen der Luchse war laut Gutachten zwei Monate vor seinem Tod zweimal geschossen worden. Die streng geschützten Tiere waren Hoffnungsträger der dortigen Luchspopulation. Sie hatten sich im Lamer Winkel angesiedelt und war innerhalb des Monitorings anhand von Wildkameras regelmäßig identifiziert worden. Der Lamer Winkel im nördlichen Bayerischen Wald ist eine beliebte Urlaubsregion und gleichzeitig ideales Luchsgebiet – nur leider verschwinden die ansässigen Luchse dort regelmäßig spurlos. Man spricht vom „Bermudadreieck der Luchse“. 14 Tiere waren es seit 2010, deren Spuren sich verloren und sechs in ganz Bayern, die nachweislich Opfer illegaler Tötungen wurden. Unter ihnen der am Straßenrand gefundene Jungluchs bei Schönberg. Forensische Untersuchungen belegten eindeutig: die Todesursache war nicht der Verkehr, sondern er wurde auf bestialische Weise stranguliert. Weitere Opfer sind eine mit drei Jungen trächtige Luchsin, die in der Nähe von Bodenmais mit Schrot erschossen wurde (2013), eine besenderte Luchsin („Tessa“) bei Rinchnach, nachdem sie von einem mit Carbofuran vergifteten Rehkadaver gefressen hatte (2012), und zu guter Letzt „Alus“, welcher 2017 kopflos im Saalachsee aufgefunden worden war – erschossen und von Menschenhand verstümmelt.

Tessa

„Tessa“ (2012)

Da die zuständigen Beamten des Polizeipräsidiums Oberpfalz, PI Bad Kötzting, im Falle „Leo und Leonie“ lange im Dunkeln tappten, lobte die damalige Umweltministerin Scharf im März 2016 10.000 € Belohnung aus, für sachdienliche Hinweise. Die Forderungen von Naturschutzverbänden nach konsequenteren Strafverfolgungen nahmen zu, nicht zuletzt durch die Tagung „Naturschutzkriminalität stoppen!“ im Bayerischen Wald Ende 2015, bei welcher der Grundstein für eine neuartige Kooperation von Naturschutzorganisationen und Polizei gelegt wurde. Die bis dahin eher schleppende strafrechtliche Verfolgung solcher Fälle wurde neu strukturiert, ein polizeiinternes Handlungspapier entwickelt und Beamten auf allen Ebenen wurden fachlich fortgebildet.

Polizei und Staatsanwaltschaft (Regensburg: Oberstaatsanwalt Pfaller) leisteten im Falle Leo und Leonie beachtlich aufwändige Ermittlungen. Zunächst wurde gegen Unbekannt ermittelt; nach Eingang von Hinweisen gegen einen beschuldigten Jäger wegen Verdacht auf Jagdwilderei, sowie wegen Verstößen gegen Bundesnaturschutz- und Tierschutzgesetz. Bei einer Hausdurchsuchung in Lohberg, Lkrs. Cham im Dezember 2016 fand man Luchstrophäen (2 Ohren, 5 Krallen), Lebendfang-Luchsfallen, Munition im Kaliber 22 lfB (lang für Büchsen), ein Wurfstern und Nachtsicht-Zieleinrichtungen (Nachtsichtgerät mit Aufsetzvorrichtung auf das Zielfernrohr).

Im Februar/März 2019 wurde das Ergebnis äußerst schwieriger Ermittlungen veröffentlicht: Beim Vergleich zwischen den in den Luchskadavern aufgefundenen Projektilfragmenten und der sichergestellten Munition des Jagdberechtigten konnte keine Übereinstimmung festgestellt werden. Ebenso wenig zeigte die Vergleichsuntersuchung der aufgefundenen Luchsbeine, mit den beim Beschuldigten sichergestellten Luchspfoten und -ohren, Übereinstimmung. Die DNA wurde mit der tschechischen Luchs-Datenbank abgeglichen. Außerdem gab es ein aufwendiges ballistisches Gutachten zu den Geschosspartikeln. Diese Untersuchung ging weit über das Übliche hinaus: Experten vom Bayerischen LKA führten eine Blei-Isotopen-Analyse durch. Weiterhin wurden Schmauchspuren und Tierhaare an der Lebendfalle untersucht.

Dem Beschuldigten konnte eine Beteiligung an dem Fall „Leo und Leonie“ oder deren Tötung nicht nachgewiesen werden. Somit wurde das Ermittlungsverfahren gemäß §170 Absatz 2 StPO mangels Tatnachweis eingestellt, ebenso die Ermittlungen wegen Tötung des anderen Luchses, dessen Pfoten und Ohren man bei der Hausdurchsuchung entdeckt hatte. Nicht beweisen konnten die Behörden weitere illegale Wildtier-Tötungen, die er gegenüber einem Zeugen behauptet hatte. Konkrete Ereignisse konnten mangels Geständnis, geeigneter Spuren und Beweismittel nicht mit der notwendigen Sicherheit – im Hinblick auf Tathandlung, Tatzeit und Tatort – festgestellt werden.

Die Anklage

Aufgrund der bei der Durchsuchung sichergestellten Beweismittel erhob die Staatsanwaltschaft Regensburg dennoch Anklage gegen den tatverdächtigen Jäger. Dem Beschuldigten wird in der Anklageschrift der vorsätzliche Besitz zweier verbotener Waffen zur Last gelegt: Nachtsicht-/zielgerät und Wurfstern. Zum anderen die in einem Waldgebiet (Eigenjagdrevier des Beschuldigten) aufgefundene Lebendfalle. Aufgrund der an der Falle gesicherten Spuren und weiterer Beweismittel besteht nach Auffassung der Staatsanwaltschaft der hinreichende Verdacht, dass der 53-Jährige mit Hilfe dieser Falle Luchsen nachstellte und im Zeitraum zwischen Juni 2014 und September 2016 mindestens einen Luchs fing, welchen er anschließend mit einer Kurzwaffe des Kalibers .22 oder .347 Magnum tötete. Die Staatsanwaltschaft legt dem Beschuldigten deshalb in ihrer Anklageschrift auch das vorsätzliche Nachstellen und Töten eines wildlebenden Tieres einer streng geschützten Art, strafbar nach dem Bundesnaturschutzgesetz, zur Last. Dem Mann wird ein Vergehen nach §71 des Bundesnaturschutzgesetzes vorgeworfen. Der mögliche Strafrahmen für die beiden Anklagepunkte liegt bei einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.

 

Die schwierige Rückkehr der Luchse nach Bayern

Durch Bayerns Wälder streifen derzeit etwa 70 Luchse (inkl. Jungtiere), das Hauptverbreitungsgebiet liegt im Bayerischen Wald. Deutschlandweit sind wir bei ca. 135 Tieren (Bayern, Harz, Rheinlandpfalz). Nicht nur illegale Abschüsse machen es den Pinselohren in Bayern schwer, auch der veraltete Managementplan von 2008 lässt keine aktive Wiederansiedlung zu – um den fragilen Bestand aufzufrischen. Dabei sollten Luchse zu den beliebtesten Tieren der Welt gehören: Sie haben den Charme aller Katzen, sind grazil, hübsch anzuschauen und für den Menschen ungefährlich. Dass sie um 1900 herum trotzdem in West- und Südeuropa praktisch ausgerottet waren, lag in erster Linie an der damaligen Haltung gegenüber großen Beutegreifern. Dass sie es heute noch immer nicht schaffen, in ihre angestammten Lebensräume zurückzukehren, liegt hauptsächlich an einigen wenigen schwarzen Schafen, die sie illegal – teils auf sehr grausame Art und Weise – töten. In ganz Europa dürfte es ca. 10.000 Luchse geben, die meisten davon in Skandinavien und Osteuropa. Kleinem isolierte Populationen in Mitteleuropa, wie z.B. in den Schweizer Alpen, stammen allesamt aus Wiederansiedlungen, mit denen in vielen Ländern ab den 1970er-Jahren begonnen wurde. Bayern profitierte diesbezüglich von den Bemühungen Tschechiens, das in den 1980er-Jahren auf seiner Seite des Böhmerwaldes 17 Luchse auswilderte. Da die Tiere ein großes Streifgebiet beanspruchen, sich aber nicht an Landesgrenzen halten, ist das bayerisch-tschechisch-österreichische Grenzgebiet, also der Bayerische Wald und der südliche Oberpfälzer Wald, bis heute das Areal mit den meisten Luchssichtungen hierzulande. Insgesamt wird die Bayerisch-Böhmisch-Österreichische Population auf 110 Tiere geschätzt. Jedoch wäre es dringend an der Zeit den Bestand mit „frischem Blut“ aufzufrischen, um die genetische Diversität zu verbessern. Ein Blick zu unseren österreichischen Nachbarn lehrt uns: 2011/12 wurden dort drei Tiere aus der Schweiz angesiedelt, um den Bestand im Nationalpark Kalkalpen zu stützen. Dies führte zu Nachwuchs, aber 2015 brach der kleine Bestand wieder aufgrund zweier illegaler Abschüsse ein. Das verantwortliche Jägerehepaar musste für sein verbotenes Jagdvergnügen jeweils 12.000 Euro Schadensersatz zahlen. Um den Verlust auszugleichen, wurden zwei neue Luchse in den Kalkalpen angesiedelt. Jetzt hofft man wieder auf Nachwuchs.

Illegale Abschüsse sind das, was die Rückkehr des Luchses am meisten behindert – bei den geringen Stückzahlen ist jedes getötete Tier ein Verlust, der schwer auszugleichen ist. Zudem mangelt es an einem bundesweiten und länderübergreifenden Management: „Bayern tut definitiv zu wenig für die Wiederansiedlung“, ist Franziska Baur überzeugt. Die Gregor Louisoder Umweltstiftung und der Landesbund für Vogelschutz e.V. fordern daher das gezielte Freisetzen von Luchsen in geeigneten bayerischen Mittelgebirgen und im bayerischen Alpenraum, sowie Ersatzfreilassungen für illegal zu Tode gekommene Tiere, wie z.B. Alus im Grenzgebiet Bayern und Österreich. „Der veraltete Managementplan Luchs von 2008 muss geändert werden, um dies zu legalisieren“, plädiert Baur. Auch der Kampf gegen die illegale Jagd müsse weiterhin aufrecht gehalten werden und darf nicht einschlafen. Jedem verurteilten Täter muss mindestens der Jagdschein und die Waffenbesitzkarte entzogen werden. Wir fordern: „Nach den umfassenden Bekenntnissen von Polizei, Innenministerium und Staatsanwaltschaft müssen jetzt Taten folgen und Anschluss an internationale Standards bei Prävention und Verfolgung von Naturschutzkriminalität gefunden werden.“

 

Konflikt zwischen Jägerschaft und Naturschutz

Die Auseinandersetzung um das Schalenwild ist laut Dr. Angela Lüchtrath ein Ersatzkrieg zwischen Jägerschaft und Naturschutz. Lüchtrath (2011) erklärt dies damit, dass die Jägerschaft gegenüber dem Naturschutz viel Einfluss verloren hat, dass ihre positive Rolle in der Kulturlandschaft in Frage gestellt wird, und dass ihr immer mehr Kompetenzen entzogen werden. In diesem Konflikt sei der Luchs zu einer Ikone des Naturschutzes geworden (Schraml & Heurich 2016). Die Jäger sähen im Luchs den „Handlanger“ einer Forstpolitik, die gegen ihre Interessen gerichtet sei. Mit der Ablehnung oder gar Tötung dieser Ikone träfen die Jäger das andere Lager (Forst und Naturschutz) insgesamt.

 

Über den aktuellen Luchsprozess hinaus – Studie zu illegalen Tötungen

Eine wissenschaftliche Studie von Heurich (2018) hat alle verfügbaren Daten des Luchsmonitorings ausgewertet und ist zu dem ernüchternden Ergebnis gekommen, dass das Vorkommen von Luchsen mit wachsender Entfernung von den Grenzen des Schutzgebietes rapide abnimmt, obwohl zahlreiche günstige Luchshabitate wie der Lamer Winkel existieren. Die Luchse schaffen es also nicht, die Lebensräume zu besiedeln, die ihnen zur Verfügung stehen. Anders als bei Wölfen gibt es bei Luchsen keine innerartliche Aggression, auch der Straßenverkehr fällt als Todesursache kaum ins Gewicht. Neben der normalen Jungensterblichkeit ist daher die illegale Tötung der entscheidende Faktor, der die fragile bayerisch-tschechische Luchspopulation limitiert.

Dennoch hat der öffentliche und strafrechtliche Druck der letzten Jahre, das Medieninteresse und das wachsende Bewusstsein der Bevölkerung für die heimische Artenvielfalt Wirkung gezeigt. Derzeit gibt es die meisten Luchse seit ca. 200 Jahren und darüber sind wir mehr als glücklich! Dennoch bleibt der kritische Erhaltungszustand dieser Tierart bestehen und unser Ziel ist, eine stabile, gut vernetzte Population, welche langfristig in ihrer ursprünglichen Heimat überleben kann.

 

Was kommt nach dem Luchsprozess?

Projektstart: Tatort Natur – Naturschutzkriminalität stoppen!

Gregor Louisoder Umweltstiftung und Landesbund für Vogelschutz e.V. schreiten bereits jetzt zur Tat und setzen die langgeforderte Dokumentation aller bekannten Fälle um und bieten eine neue Informations- und Melde-Plattform: www.tatort-natur.de (im Aufbau!). Dort finden Sie eine Karte mit den Hot Spots illegaler Tötungen, spannende Tierportraits, Checklisten und jede Menge Hintergrundinfos zu dem wichtigen Thema „Naturschutzkriminalität“.

Das Kooperationsprojekt „Tatort Natur“ ruft auf: „In den vergangenen Monaten wurden in Bayern mehrere eklatante Fälle von Naturschutzkriminalität bekannt. Wer draußen in der Natur unterwegs ist und auf verdächtige tote Tiere stößt, den rufen wir dazu auf: Nichts anfassen, alles dokumentieren, umgehend die Polizei rufen, sowie eine Meldung auf www.tatort-natur.de abgeben.“

Aussichten für die Zukunft

Wünschenwert ist, dass wir unsere heimische Natur wieder wertschätzen lernen und wir sind mit der derzeitige Bewegung – Volksbegehren Artenvielfalt, Fridays for Future – auf einem guten Weg. Typischerweise finden wir oft die exotischen Tiere besonders anziehend und schützenswert – Elefant, Tiger oder Delfine.Dass wir mindestens genauso faszinierende Tiere direkt vor unserer Haustür haben, vergessen viele. Diese Tiere brauchen ebenfalls unseren Schutz, unsere Wertschätzung, und zwar wegen ihres Eigenwerts und ihrer puren Daseinsberechtigung. Ja, sie haben einen ökologischen Wert und eine wichtige Rolle im System, aber in erster Linie sind es Lebewesen – wie wir Menschen – welche ein Recht darauf haben, hier in Bayern in Ruhe leben und ihre Jungen großziehen dürfen.

Es ist zu hoffen, dass die pure Lust am Töten, das Loswerden von unerwünschten Jagdkonkurrenten und das Sammeln von Trophäen denjenigen vermiest wird, die sich bisher keine Konsequenzen erwarten. Da das Töten seltener, geschützter Wildtiere zum absoluten Tabu in der Gesellschaft erklärt wurde, wird es auch immer weniger Publikum zum stolzen Präsentieren seiner Taten geben. Schwarze Schafe und Einzeltäter wird es vermutlich immer geben und hier muss ein adäquates Strafmaß konsequent umgesetzt werden – und Anschluss an internationale Standards gefunden werden, wo wir momentan EU-weit in Sachen Verfolgung von Wildtierkriminalität (u.a. mit hochausgebildeten Anti-Wilderer Einheiten) eine der Schlusslichter sind.


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